Artikel vom 
Februar 27, 2023

Was ist toxische Positivität und wie schadet sie uns? 

Lesedauer 6 Minuten

Egal ob “Don’t worry, be happy!”, “Always look on the bright side of life!” oder “What doesn’t kill you makes you stronger!” – Viele erfolgreiche Welthits fordern uns dazu auf, stets das Positive im Leben zu sehen. Dem “Negativen” gar keine Chance zu geben, es “einfach” auszublenden und sich klarzumachen, dass man es doch wirklich gut hat. Schließlich hat man ja ein Dach überm Kopf und anderen geht es ja eh viel schlechter. Also alles gut, oder?

In der heutigen “Happiness Gesellschaft” mit Instagram, Tik Tok & Co sind wir tagtäglich überflutet mit Bildern von den strahlendsten Gesichtern, den sonnigsten Urlaubsfotos, den leckersten 5-Gänge Menüs sowie den gleichzeitig sportlichsten Körpern. Alles ist immer schön. Alle lachen. Alle sind gut drauf. 

Doch ist Positivität der wahre Schlüssel zum Glück? Und was bedeutet eigentlich toxische Positivität? Kann Positivität auch schaden? Ab wann wird es gefährlich?

All diesen Fragen wollen wir in diesem Artikel auf den Grund gehen.

Was ist toxische Positivität?

Positivität ist per se nichts Schlechtes. Lange Zeit war die Psychotherapie sehr defizit- und problemorientiert. Mit der Strömung der “Positiven Psychologie” wurde der Blick innerhalb der Therapie erstmals auch auf die positive Seite gelenkt: auf vorhandene Ressourcen (also persönliche Fähigkeiten und Stärken) und das, was den Menschen glücklich macht. Es ist durchaus hilfreich und heilsam, sich auch mal die schönen Seiten des Lebens bewusst zu machen und den Blick für sie zu öffnen. 

Problematisch wird es erst dann, wenn die Erwartungshaltung und folglich der Druck entsteht, dass “immer alles gut sein muss” und es keinen Platz mehr gibt für “negative” Gedanken und Gefühle. Wenn das Positiv-Denken zu einem Zwang wird und du beginnst, unangenehme Gedanken und Gefühle stur zu ignorieren oder zu unterdrücken. Sagst du dir beispielsweise häufig nach auftretenden unangenehmen Gefühlen, Gedanken und Situationen so etwas wie “...aber ist ok”, “...aber ist egal”, “...aber macht ja nichts”? Dann kann es sein, dass du gelernt hast, unangenehme Gefühle zu unterdrücken, statt sie zu verarbeiten. Aber woran liegt das?

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Gründe für toxische Positivität

Der Prozess der Unterdrückung von Emotionen und Gedanken geschieht meist unbemerkt und automatisch. Toxische Positivität hängt häufig damit zusammen, welche Erfahrungen du in deiner Kindheit im Umgang mit vermeintlich negativen Gedanken und Gefühlen gemacht hast. Vielleicht war dafür in deiner Familie kein Platz, so dass du ein starkes Bedürfnis nach Harmonie entwickelt hast und folglich gelernt hast, dass negative Gefühle sich "nicht gehören”. Vielleicht möchtest du andere mit vermeintlich negativen Themen gar nicht erst belasten, weil du Angst hast, auf Ablehnung zu stoßen und sie womöglich zu verlieren. Vielleicht tragen auch die vielen grinsenden Gesichter auf Instagram dazu bei, dass du dir nicht mal vor dir selbst eingestehen magst, dass du unzufrieden, traurig, genervt, wütend oder gelangweilt bist.

Also ist der Schlüssel zum Glück das Verdrängen der negativen Gefühle?

Leider ist das ein Irrglaube:

Mehrere Studien konnten inzwischen zeigen, dass insbesondere der Druck bzw. die Erwartung “glücklich sein zu müssen” in Zusammenhang stehen mit einem niedrigeren Wohlbefinden und häufigeren, intensiveren Traurigkeitsgefühlen. Das bedeutet: Je mehr wir uns unter Druck setzen, “glücklich zu sein”, desto unglücklicher können wir werden. Aber warum ist das so?

Was sind die Gefahren von toxischer Positivität? 

Wer toxisch positiv ist, riskiert, sich selbst zu verlieren. Schließlich werden nur positive Gedanken und Gefühle zugelassen. Ein wichtiger Teil des Selbst wird folglich ignoriert und ausgeklammert.

Toxische Positivität entfernt dich also von dir selbst. Denn auch vermeintlich negative Gefühle haben eine wichtige Funktion: Sie weisen dich auf deine Bedürfnisse hin! Wut zeigt uns, wo unsere Grenzen sind, was wir ungerecht finden und was uns am Herzen liegt. Die Angst will uns schützen, macht uns wachsam und umsichtig und stellt uns beispielsweise Energie zur Flucht bereit. Langeweile weist uns darauf hin, dass wir besser etwas verändern in unserem Leben… Drückst du all diese Gefühle weg, verwehrst du dir die Chance, etwas zu verändern, das Leben entsprechend deiner eigenen Bedürfnisse zu gestalten und somit gut für dich zu sorgen. Deine Gefühls- und Bedürfniswahrnehmung wird geschwächt und du lernst nicht, deine Gefühle adäquat zu verarbeiten. Du entfernst dich folglich immer weiter von dir selbst. 

Wer nicht gut in Kontakt mit (all!) seinen eigenen Gefühlen ist, verliert nicht nur die authentische Verbindung zu sich selbst, sondern häufig auch die zu anderen. Denn wenn du deine eigenen negativen Gefühle wie Traurigkeit, Angst, Ärger, Wut etc. nicht oder nur kaum kennst, wird es dir folglich auch viel schwerer fallen, dich in andere hineinzuversetzen und mitfühlend zu sein. Vielleicht überfordern dich die negativen Gefühle deiner Mitmenschen dann auch sehr, dass du am liebsten direkt eine Lösung finden möchtest, um auch die unangenehmen Gefühle anderer möglichst schnell aus dem Weg zu räumen. Dabei nimmt man die Mitmenschen jedoch viel weniger wahr und schwächt die authentische Bindung zu ihnen.

Es ist zudem sehr anstrengend, stets das Negative wegzudrücken. Es gibt die Metapher vom Wasserball, der in unserem Beispiel all die “negativen” Gefühle repräsentieren soll. Will man diese nicht wahrhaben und drückt folglich den Wasserball unter die Wasseroberfläche, damit niemand ihn sieht, kostet das viel Kraft. Um den Ball unter Wasser zu halten, darf man dem Druck nicht nachgeben. Irgendwann schwindet die Kraft jedoch und der Ball schießt mit einer gewaltigen Wucht an die Oberfläche. Je mehr du also versuchst, ihn unter Wasser zu halten, desto kräftiger schießt er wieder hervor und produziert Wasserspritzer und Wellen. Er richtet auf diese Art und Weise viel mehr Unheil an und wird auch für die Umgebung deutlich auffälliger, als würde er (wie zu Beginn) friedlich vor sich hintreiben. Im übertragenen Sinne bedeutet das: Unangenehme Gedanken und Gefühle kosten uns sicherlich viel Energie. Aber sie nicht fühlen zu dürfen und ihnen Widerstand zu leisten, kostet uns noch mehr Kraft und ist somit doppelt anstrengend. 

5 Tipps gegen toxische Positivität

1. Authentische Emotionen statt zwanghaft positiv:

Glück ist, wenn man sich selbst gegenüber ehrlich und authentisch begegnet. Wenn alles gefühlt werden darf und man sich dafür nicht verurteilt, sondern man versucht, die dahinter steckenden Bedürfnisse zu erkennen und entsprechend zu handeln. Vielleicht hilft dir dabei die simple “Ja, so ist es”-Achtsamkeitsübung, bei der du die Präsenz unangenehmer Gedanken und Gefühle erstmal bejahst, z.B. “Ja, das ist sehr traurig…” und somit Druck und Widerstand rausnimmst.

2. Wertung rausnehmen:

Achte mal auf deine Wortwahl und versuche weg von “guten” und “schlechten”, bzw. “positiven” und “negativen” und hin zu “angenehmen” und “unangenehmen” Gefühlen zu kommen. Denn Angst, Wut, Traurigkeit etc. sind per se nicht "schlecht" oder “negativ”, sondern weisen uns auf wichtige Dinge hin und sind folglich hilfreich. Versuchen wir also weniger zu werten und mehr wahrzunehmen. 

3. Social Media aussortieren:

In ihrem Podcast empfiehlt Stefanie Stahl, sich von Seiten wie Instagram, TikTok & Co zu lösen und stattdessen die “Real Therapie” zu machen. Dabei schaut man sich das Leben anderer Menschen nicht durch die Linse an, sondern einfach in der Realität: Im Café, Park oder Schwimmbad. Dabei ist es wichtig, festzustellen, wie unterschiedlich wir alle aussehen. Das wichtigste dabei ist: Alle Menschen sind schön – ganz egal was Schönheitsideale uns vorgeben wollen. Dies kann dabei helfen, sich von den (stets perfekt aussehenden) Idealen der sozialen Medien zu lösen und sich zu erden.

4. Fragen statt Antworten:

Auch im Kontakt mit anderen kannst du versuchen, toxische Positivität vorzubeugen, indem du erstmal zuhörst, statt gleich versuchst, eine Lösung herbeizuführen. Indem du deinem Gegenüber die Chance gibst, sich sichtbar zu machen und sich so zu zeigen, wie er/sie sich fühlt. Denn so begegnest du anderen auf Augenhöhe und symbolisierst, dass du ihre oder seine Probleme ernst nimmst. Dabei geht es auch darum, erstmal die richtigen Fragen zu stellen, statt die perfekte Antwort parat zu haben.

5. Sich verletzlich zeigen, denn Verletzlichkeit stiftet Nähe:

Vielleicht kennst du Gedanken wie “Aber ich muss doch gut drauf sein, ich bin doch immer der oder die Fröhliche!”. Meist sind solche Gedanken von der Sorge begleitet, andere Menschen zu enttäuschen, vielleicht sogar zu verlieren. Dabei schafft Authentizität die echte Nähe. Können wir in einer Beziehung nur eine Seite (“die Fröhliche”) von uns zeigen, werden wir uns im Kontakt nicht 100%ig wohl fühlen und lassen die anderen nicht wirklich an uns ran. Dabei schafft Verletzlichkeit wahre Nähe, denn sie macht uns zu Menschen. Stets perfekt sein zu wollen, schafft in Wahrheit viel mehr Distanz. 

Zusammen durch die Sonne zu gehen ist leicht – viel wertvoller ist es doch, zu wissen, wer mit einem auch durch die Dunkelheit geht.

Es ist heilsam, sich die positiven Seiten des Lebens bewusst zu machen. Aber nur so lange das nicht bedeutet, dass du “negative” Dinge zwanghaft ausklammerst: Unangenehme Gefühle zu fühlen und zu verarbeiten bringt dich näher zu dir selbst, fördert deine Empathiefähigkeit und damit einhergehend deine Verbindung zu anderen. Also merke dir: It’s okay not to be okay! 🙂

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Friederike Schubbert

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