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Dezember 19, 2022

Umgang mit Konflikten in der Familie: Wie lerne ich, "gut zu streiten"?

Lesedauer 4 Minuten

Mit unserer lieben Familie haben wir eine lange Zeit unter einem Dach gelebt und den Alltag geteilt: Man kennt somit die Schwachstellen und Macken voneinander und weiß ganz genau, was den anderen auf die Palme bringt. Und das wird häufig schamlos ausgenutzt. Da die Familie nämlich Familie ist und auch immer Familie bleiben wird, scheinen wir vor einem etwas „ruppigeren” Umgang miteinander nicht so schnell zurückschrecken, wie wir es bei unseren Freund:innen täten. Die Familie ist schließlich nicht so schnell weg und muss daher ziemlich viel aushalten. Gerade die Kommentare unserer Familienmitglieder, die uns doch stetig lieben und um unsere besten Seiten und Intentionen wissen sollten, können uns sehr verletzen. Damit es gar nicht erst soweit kommen muss, möchten wir dir in diesem Artikel ein paar Tipps für gutes Streiten mit an die Hand geben.

Wie lerne ich “gutes” Streiten?

Vorab eine wichtige Information: Das Ziel sollte niemals sein, Streit zu vermeiden. Denn was passiert dann? Wer Streit scheut und folglich meidet, bleibt in alten Mustern stecken und beraubt sich und sein Gegenüber um wertvolle Weiterentwicklungsmöglichkeiten.

Streit wird in unserer Gesellschaft sehr negativ konnotiert, hat aber eine wichtige Funktion. Wir lernen einander besser kennen, finden heraus, welche Wünsche und Bedürfnisse unsere Mitmenschen haben, und wo ihre Grenzen sind. Wir sind bemüht, unsere und die Vorstellungen des Gegenübers zu vereinen und Kompromisse zu entwickeln. Streit ist somit etwas sehr Sinnvolles und das Ziel sollte „gut streiten“ statt „nicht streiten“ lauten. Doch wie geht das?

Alle, die sich schon einmal gestritten haben, wissen es: Im Streit werden wir schnell von unseren Emotionen überwältigt. Wie eine Welle rauschen sie heran, bauen sich auf, bis sie nicht mehr aufzuhalten sind. Argumente schaukeln sich hoch, aus sachlicher Kritik werden laute, zermürbende Vorwürfe und der anfangs noch so ruhige Ton wird ganz schnell laut und harsch. Häufig bereuen wir im Nachhinein unsere Worte, die uns im Eifer des Gefechts in unserer Emotionalität nun mal so „rausgerutscht“ sind. 

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Da stellt sich uns die Frage: Alles immer sofort ansprechen? Wir sagen: Nein. Es ist durchaus ratsam, sich ein Weilchen Zeit zu geben, um von der Emotionswelle runterzukommen, bis sich der innere Sturm gelegt hat. Das führt dazu, dass man nicht lediglich mit seinen Emotionen identifiziert ist, sondern die Muße findet, auch den Kopf einzuschalten und ganz sachlich und in aller Ruhe über ein „Ärgernis“ nachzudenken, um es schließlich mit mehr Gelassenheit und Bedachtheit anzusprechen. Dabei gilt: Ehrlichkeit zahlt sich aus. Aber der Ton spielt die Musik. Du musst deine Wahrheit deinem Gegenüber also nicht „hinklatschen wie einen nassen Waschlappen“, sondern du kannst sie auch nett wie einen adrett aufgehängten Mantel präsentieren. Doch welche Schritte sollte man dabei beachten?

1. Beziehe dich auf eine spezifische Situation

Zuerst solltest du dir beim Streiten mit einer anderen Person überlegen, welche Situation es genau war, mit der du dich unwohl gefühlt hast. Im Streit neigen wir dazu, vieles zu verallgemeinern. Dies kann unserem Gegenüber jedoch unfair erscheinen und mehr Trotz als Verständnis bewirken. Versuche also, Begriffe wie „immer, nie, jedes Mal“ zu vermeiden und beziehe dich stattdessen auf eine konkrete, spezifische Situation, zum Beispiel „letzten Montag beim Mittagessen“. Beschreibe ganz genau, um welche Verhaltensweise deines Gegenübers es sich handelt. Anstelle zu kritisieren, ist es oftmals ebenfalls hilfreich, Nachfragen zu stellen, um zu verstehen. Warum hat dein Gegenüber so gehandelt?

Andersherum, falls eine deiner Verhaltensweisen kritisiert wird und dir wirklich nicht klar ist, was dein Gegenüber dabei als problematisch empfunden hat, stelle auch hier gezielt eine Nachfrage. Du kannst zum Beispiel erklären: "Es tut mir leid, dass du enttäuscht von mir bist. Bitte erkläre mir nochmal, in welchem Moment ich dich enttäuscht habe, damit ich es nächstes Mal besser machen kann." Falls dir dein „Fehler“ jedoch direkt bewusst ist, stell dich durch Nachfragen nicht dumm. Es geht schließlich um einen ehrlichen, authentischen und respektvollen Umgang miteinander. 

2. Benenne dein Gefühl 

Nachdem du eine spezifische Situation mit einer konkreten Verhaltensweise angesprochen hast, beschreibe, welche Gefühle diese bei dir ausgelöst hat. Handelt es sich eher um Wut oder Traurigkeit? Hast du dich enttäuscht, übersehen oder übergangen gefühlt? Konflikte lösen meist mehr als ein Gefühl in uns aus. Häufig steckt hinter einem offensichtlichen Gefühl (z.B. Wut) noch weitere (z.B. Traurigkeit oder Angst). Horche so lange in dich hinein, bis du beim Kern deiner Gefühle angekommen bist und das Basisgefühl identifiziert hast. Bleibe ganz bei dir!  

Es ist wichtig, beim Streiten nicht nur in Du-Botschaften zu sprechen (z.B. "Du hast XYZ gemacht und du hast mich verärgert") und damit den anderen direkt anzugreifen, sondern vielmehr bei sich und den eigenen Gefühlen zu bleiben ("Ich habe mich wütend gefühlt") und diese auszudrücken. Auf diese Weise klingt die Kommunikation weniger vorwurfsvoll und liefert weniger Angriffsfläche für Rechtfertigungen. Dein Gegenüber kann so deine Gefühle nicht kleinreden oder ignorieren. 

Es ist außerdem wichtig zu beachten, dass wir nicht davon ausgehen können, dass unser Gegenüber, der/die uns ja so gut kennt, automatisch weiß, wie wir uns fühlen. Daher beachte: Egal, wie lang oder wie gut man sich kennt, wir können nicht von unserer Umwelt erwarten, dass sie uns in den Kopf schauen können. Für gute Beziehungen geht es also immer auch um eine adäquate Kommunikation unserer Innenwelt. 

3. Benenne dein dahinterstehendes Bedürfnis

Angeschlossen an die Kommunikation unserer Gefühle, ist die Kommunikation unserer dahinterstehenden Bedürfnisse. Frage dich, welches Bedürfnis in der Situation frustriert wurde. Ist es zum Beispiel dein Bedürfnis nach Ordnung, nach Pünktlichkeit oder dein Bedürfnis danach, gesehen zu werden? Ist es dein Bedürfnis nach Unabhängigkeit oder Verantwortungsübernahme? Es ist manchmal gar nicht so leicht, die eigenen Bedürfnisse zu identifizieren. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, sich – bevor man in die Konfliktlösung geht – selbst einige Gedanken dazu gemacht zu haben. Je öfter du in die Selbstreflektion gehst, desto besser wirst du dich kennenlernen und desto leichter wird es dir fallen, deine Bedürfnisse zu erkennen und zu identifizieren. 

4. Äußere deinen Wunsch

Im letzten Schritt geht es darum, einen klaren Wunsch zu äußern. Was hättest du in der Situation von deinem Gegenüber gebraucht? Wie hätte dein Gegenüber dein Bedürfnis erfüllen können? Was hättest du dir gewünscht? Merke: Du darfst dir alles wünschen, aber kannst nicht alles von deinem Gegenüber erwarten. Formulierst du Wünsche, bleibe auch offen für Vorschläge deines Gegenübers und signalisiere eine Kompromissbereitschaft. Sicherlich kannst auch du etwas dafür tun, dass die Situation beim nächsten Mal nicht so sehr eskaliert.

Bedenke: Teilst du deine Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche, vergiss dabei nicht die deines Gegenübers. Je öfter ihr Konflikte offen, transparent und wohlüberlegt ansprecht, desto mehr Übung erhaltet ihr darin, Konflikte zu lösen und Kompromisse zu finden.

Wir möchten dich also dazu ermutigen, dich ganz bewusst den Konflikten zu stellen. Denn unterdrückte Probleme können im Sinne des „letzten Tropfens auf den heißen Stein“ ganz schnell das Fass zum Überlaufen bringen und zu größeren Spannungen und Konflikten führen - aber auf eine empathische, verständnisvolle und respektvolle Art und Weise.

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Friederike Schubbert

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